...und Angela Merkel wird gestürzt
von Wolfgang Herles
Sie mag am 27.September noch einmal siegen, doch 2012 ist Schluss. Ein Szenario
Keiner der Abgeordneten, die der Kanzlerin stehend applaudierten, hätte ihr diese Gefühlsregung zugetraut. Aber tatsächlich wurden Angela Merkel die Augen nass, als Norbert Röttgen, der Fraktionsvorsitzende, ihr einen gewaltigen Strauß Rosen in ihrer Lieblingsfarbe Pink überreichte. Wenige Minuten zuvor hatte sie wie erwartet ihren Rücktritt angekündigt. Ihr Nachfolger im Amt sollte die Gelegenheit bekommen, mit Kanzlerbonus ins bevorstehende Wahljahr zu starten.
Wochenlang hatten sich CDU und CSU einen erbitterten Streit um den künftigen Kanzler geliefert. Christian Wulff traute sich das Amt inzwischen ebenso zu wie Friedrich Merz seit eh und je. Die CSU hatte für Finanzminister zu Guttenberg plädiert. Den Ausschlag aber hatte FDP-Chef Guido Westerwelle gegeben. Er lehnte den CSU-Mann ab.
Nur darum ging es ja beim Kanzlerwechsel: Unter allen Umständen wollten die Unionsparteien verhindern, dass die FDP aus Angst vor dem Absturz in die Opposition den Bruch der Koalition inszenierte und mit SPD und Grünen in eine Ampelkoalition wechselte. Die Liberalen dürften ihre Chancen nicht länger vermerkeln. Mit diesem Talkshowspruch hatte Westerwelle annonciert, wem er die Schuld an den miserablen Umfragewerten der Regierung zuschrieb.
Auch Merkels persönliche Beliebtheit war zerronnen. Alle Eigenschaften, die in den ersten Jahren der Kanzlerschaft für sie gesprochen hatten, wurden ihr seit der für sie enttäuschend knappen Wahl im September 2009 als Defizite vorgehalten. Statt als klug und flexibel galt sie nun als einfallslos und konfliktscheu. Ihre Art, sich durchzumogeln, wurde nicht mehr für Regierungskunst gehalten, sondern für Hilflosigkeit. Die einst bewunderte Kühle wurde der Kanzlerin als Kraftlosigkeit ausgelegt.
Sie wurde zerrieben zwischen CSU und FDP und sehnte sich zurück nach der Großen Koalition. Immer noch argumentierte sie, unübersichtliche Zeiten seien nicht gemacht für große Entwürfe, gefragt sei die Fähigkeit zum Blindflug, und darin verstehe sie sich bestens. Aber das wollte ihr nun niemand mehr abnehmen.
Ihr Ruf als Taktikerin war dahin. Sie kämpfte nicht mehr, nicht einmal mehr um ihre Macht. Man wusste ja, wenn es schwierig wurde, ließ Frau Merkel wichtige Themen einfach fallen. Nun aber hatte sie sich selbst fallen gelassen.
Angela Merkel war mürbe geworden, denn die drei Jahre seit ihrer Wiederwahl waren deprimierend verlaufen. Als Krisenmanagerin war sie entzaubert. Ihre Fehler waren nicht mehr zu übersehen. Nach dem Auslaufen der Kurzarbeitgelder war die Zahl der Arbeitslosen in die Höhe gesprungen. Die negativen Folgen der Abwrackprämie hatten die Absatzkrise der Automobilindustrie verschärft. Die USA und China kamen schneller aus dem Tal als das noch immer von alten Beharrungskräften gefesselte Deutschland. Wachstumsschwäche, Reformstau, soziale Unruhen, Streiks.
Den Anspruch, endlich wieder Politik für die vom Staat ausgepresste mittlere Schicht zu machen, hatte Merkels Regierung nicht erfüllen können. Im Gegenteil: Der Staat kassierte angesichts seiner maßlosen Verschuldung nur noch schamloser ab. Eine neue Zwangsanleihe traf schon Durchschnittsverdiener, eine neue Vermögensabgabe bedrohte auch kleine Hausbesitzer.
Die Generation der Jungen machte sich als neue soziale Bewegung bemerkbar. Inzwischen hatte auch die letzte große Volkspartei, die Union, mit Zerfallserscheinungen zu kämpfen. Die Vorsitzende fand dagegen kein Mittel.
In ihrer Partei war Angela Merkel noch nie geliebt worden. Nur solange sie Erfolg versprochen hatte, war sie als Parteichefin unumstritten gewesen. Nun aber verband sich mit ihr die Angst vor dem Niedergang. Viele Abgeordnete fürchteten um Mandate und Posten und gaben ihr die Schuld. Sie sprach nicht schlechter als früher, aber niemand wollte ihre schlichten Reden mehr hören. Den Konservativen lag Revolution zwar nicht im Blut, aber Dankbarkeit und Loyalität waren ihre Sache gewiss auch nicht. Die Feinde, die Angela Merkel sich gemacht hatte, genossen die Stunde der Vergeltung.
Das erste Zeichen des Autoritätsverfalls Merkels in der eigenen Partei war die Abwahl ihres Getreuen Volker Kauder als Fraktionschef gewesen. Danach hatte Friedrich Merz erneut die Bühne betreten und die Unzufriedenen um sich geschart. Angela Merkel hatte den Rest ihres Willens zur Macht darauf verwendet, ihn als ihren Nachfolger zu verhindern. So hatte schließlich Christian Wulff das Rennen gemacht.
Ging eine Ära zu Ende? So würden am nächsten Tag die Leitartikler fragen. Eine Ära? Was hatte die erste Frau in diesem Amt Bleibendes, Prägendes zurückgelassen? Viel war es nicht gewesen. Ein neuer Politikstil war mit ihrem Namen verbunden. Er war nun auch gescheitert.
Diesen Artikel finden Sie in der Ausgabe Oktober 2009
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von Wolfgang Herles
Sie mag am 27.September noch einmal siegen, doch 2012 ist Schluss. Ein Szenario
Keiner der Abgeordneten, die der Kanzlerin stehend applaudierten, hätte ihr diese Gefühlsregung zugetraut. Aber tatsächlich wurden Angela Merkel die Augen nass, als Norbert Röttgen, der Fraktionsvorsitzende, ihr einen gewaltigen Strauß Rosen in ihrer Lieblingsfarbe Pink überreichte. Wenige Minuten zuvor hatte sie wie erwartet ihren Rücktritt angekündigt. Ihr Nachfolger im Amt sollte die Gelegenheit bekommen, mit Kanzlerbonus ins bevorstehende Wahljahr zu starten.
Wochenlang hatten sich CDU und CSU einen erbitterten Streit um den künftigen Kanzler geliefert. Christian Wulff traute sich das Amt inzwischen ebenso zu wie Friedrich Merz seit eh und je. Die CSU hatte für Finanzminister zu Guttenberg plädiert. Den Ausschlag aber hatte FDP-Chef Guido Westerwelle gegeben. Er lehnte den CSU-Mann ab.
Nur darum ging es ja beim Kanzlerwechsel: Unter allen Umständen wollten die Unionsparteien verhindern, dass die FDP aus Angst vor dem Absturz in die Opposition den Bruch der Koalition inszenierte und mit SPD und Grünen in eine Ampelkoalition wechselte. Die Liberalen dürften ihre Chancen nicht länger vermerkeln. Mit diesem Talkshowspruch hatte Westerwelle annonciert, wem er die Schuld an den miserablen Umfragewerten der Regierung zuschrieb.
Auch Merkels persönliche Beliebtheit war zerronnen. Alle Eigenschaften, die in den ersten Jahren der Kanzlerschaft für sie gesprochen hatten, wurden ihr seit der für sie enttäuschend knappen Wahl im September 2009 als Defizite vorgehalten. Statt als klug und flexibel galt sie nun als einfallslos und konfliktscheu. Ihre Art, sich durchzumogeln, wurde nicht mehr für Regierungskunst gehalten, sondern für Hilflosigkeit. Die einst bewunderte Kühle wurde der Kanzlerin als Kraftlosigkeit ausgelegt.
Sie wurde zerrieben zwischen CSU und FDP und sehnte sich zurück nach der Großen Koalition. Immer noch argumentierte sie, unübersichtliche Zeiten seien nicht gemacht für große Entwürfe, gefragt sei die Fähigkeit zum Blindflug, und darin verstehe sie sich bestens. Aber das wollte ihr nun niemand mehr abnehmen.
Ihr Ruf als Taktikerin war dahin. Sie kämpfte nicht mehr, nicht einmal mehr um ihre Macht. Man wusste ja, wenn es schwierig wurde, ließ Frau Merkel wichtige Themen einfach fallen. Nun aber hatte sie sich selbst fallen gelassen.
Angela Merkel war mürbe geworden, denn die drei Jahre seit ihrer Wiederwahl waren deprimierend verlaufen. Als Krisenmanagerin war sie entzaubert. Ihre Fehler waren nicht mehr zu übersehen. Nach dem Auslaufen der Kurzarbeitgelder war die Zahl der Arbeitslosen in die Höhe gesprungen. Die negativen Folgen der Abwrackprämie hatten die Absatzkrise der Automobilindustrie verschärft. Die USA und China kamen schneller aus dem Tal als das noch immer von alten Beharrungskräften gefesselte Deutschland. Wachstumsschwäche, Reformstau, soziale Unruhen, Streiks.
Den Anspruch, endlich wieder Politik für die vom Staat ausgepresste mittlere Schicht zu machen, hatte Merkels Regierung nicht erfüllen können. Im Gegenteil: Der Staat kassierte angesichts seiner maßlosen Verschuldung nur noch schamloser ab. Eine neue Zwangsanleihe traf schon Durchschnittsverdiener, eine neue Vermögensabgabe bedrohte auch kleine Hausbesitzer.
Die Generation der Jungen machte sich als neue soziale Bewegung bemerkbar. Inzwischen hatte auch die letzte große Volkspartei, die Union, mit Zerfallserscheinungen zu kämpfen. Die Vorsitzende fand dagegen kein Mittel.
In ihrer Partei war Angela Merkel noch nie geliebt worden. Nur solange sie Erfolg versprochen hatte, war sie als Parteichefin unumstritten gewesen. Nun aber verband sich mit ihr die Angst vor dem Niedergang. Viele Abgeordnete fürchteten um Mandate und Posten und gaben ihr die Schuld. Sie sprach nicht schlechter als früher, aber niemand wollte ihre schlichten Reden mehr hören. Den Konservativen lag Revolution zwar nicht im Blut, aber Dankbarkeit und Loyalität waren ihre Sache gewiss auch nicht. Die Feinde, die Angela Merkel sich gemacht hatte, genossen die Stunde der Vergeltung.
Das erste Zeichen des Autoritätsverfalls Merkels in der eigenen Partei war die Abwahl ihres Getreuen Volker Kauder als Fraktionschef gewesen. Danach hatte Friedrich Merz erneut die Bühne betreten und die Unzufriedenen um sich geschart. Angela Merkel hatte den Rest ihres Willens zur Macht darauf verwendet, ihn als ihren Nachfolger zu verhindern. So hatte schließlich Christian Wulff das Rennen gemacht.
Ging eine Ära zu Ende? So würden am nächsten Tag die Leitartikler fragen. Eine Ära? Was hatte die erste Frau in diesem Amt Bleibendes, Prägendes zurückgelassen? Viel war es nicht gewesen. Ein neuer Politikstil war mit ihrem Namen verbunden. Er war nun auch gescheitert.
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